Was man genau unter Azidose versteht, wie sie entsteht und welche Maßnahmen bei der Vorbeugung möglich sind, das erfahren Sie in diesem Artikel.
Was genau ist Azidose?
Unter Azidose versteht man generell eine Übersäuerung, also ein Überschuss an Säuren in Flüssigkeiten, die durch eine Störung im Säure-Basen-Haushalt des Körpers bedingt ist. Dieser kann entweder durch einen absolut zu hohen Anteil an Säuren, oder aber durch einen relativen Überschuss, also durch das Wegfallen von Puffersubstanzen entstehen.
Generell wird unter einer Azidose die Übersäuerung des Blutes verstanden (metabolische Azidose), also wenn der physiologische pH-Wert (ca. 7,4) auf Werte unter 7,35 fällt. Aber auch andere Körperflüssigkeiten können eine Azidose aufweisen: Auch die Pansenazidose ist vielen ein Begriff – sowohl beim Kalb als auch beim erwachsenen Rind kann eine Pansenazidose entstehen, wenngleich die Mechanismen unterschiedlich sind.
Woran erkenne ich unterschiedliche Azidosen?
Woran erkenne ich eine metabolische Azidose?
Die Symptomatik einer metabolischen Azidose hängt von deren Ausprägung ab und zeigt sich meist in einer allgemeinen Symptomatik: Die Kälber liegen lieber, stehen später unsicher und sind bei schweren Azidosen teilweise gar nicht mehr in der Lage aufzustehen.
Da die Kälber durch den meist ursächlichen Durchfall aber viel Flüssigkeit verlieren, kann die Feststellung des Dehydratationsgrades wertvolle Hinweise auf den Schweregrad der Azidose geben. Dafür wird zum einen der Abstand des Augapfels zum vorderen Augenwinkel geschätzt. Je mehr Flüssigkeit verloren geht, desto tiefer sinken die Augen nach innen und desto größer wird hier der Abstand. Zum anderen wird mithilfe des Hautfaltentests die Hautelastizität bestimmt. Dazu wird seitlich am Hals mit den Fingern eine Hautfalte aufgezogen und die Zeit beurteilt, die diese Hautfalte braucht, um wieder vollständig zu verstreichen.
Als Hilfestellung haben wir für Sie die nachfolgende Tabelle zusammengestellt.
Dehydrationsgrad | Verhalten | Abstand vom Augapfel zum vorderen Augenwinkel (normal: 0 mm) | Hautfalte bleibt bestehen für (normal: Hautfalte verstreicht sofort) |
---|---|---|---|
Leichte Dehydration | Reduzierter Harnabsatz, etwas ruhigeres Verhalten | 1-2mm | 3-4 Sekunden |
Mäßige Dehydration | Die Augen liegen tiefer in den Höhlen, sind „eingesunken“, die Kälber sind bereits geschwächt und stehen ungern. | 3-4mm | 5-6 Sekunden |
Hochgradige Dehydration | Die Kälber stehen nicht mehr und liegen fest, die Ohren sind kalt. | Mehr als 5mm | Mehr als 7 Sekunden |
Woran erkenne ich eine Pansenazidose?
Durch die Schmerzen im Pansen zeigen die Kälber neben dem allgemein reduzierten Befinden auch Hinweise wie wechselhafte Tränkeaufnahme, Zähneknirschen, einen vollen Pansen und einen aufgekrümmten Rücken. Schlimme Fälle zeigen auch Koliksymptomatik.
Bei eher chronisch verlaufenden Fällen wird das Haarkleid stumpf, struppig, evtl. mit Scheuerstellen und die Kälber kümmern.
Die Durchfall-Azidose
Der Klassiker: Durch die massiven Flüssigkeitsverluste über den Darm rutschen viele Durchfallkälber in eine Azidose – warum eigentlich?
Kälber mit starkem Durchfall können innerhalb eines Tages Flüssigkeitsmengen von bis zu 20% ihrer Körpermasse verlieren. Auch wenn die Nieren in der Lage sind, zu einem gewissen Grad kompensatorisch mehr Flüssigkeit zurückzuhalten, kann mit einer Faustzahl von 10% kalkuliert werden. Liegen die Augen tief in den Höhlen und verstreicht eine aufgezogene Hautfalte am Hals nicht augenblicklich, sondern bleibt, wenn auch nur kurz bestehen, sind bereits klinische Symptome der Dehydratation erkennbar und das Kalb hat bereits ca. 2 Liter Körperflüssigkeit verloren!
Es ist aber nicht nur Wasser, das hier verloren geht: große Mengen an Elektrolyten werden ebenfalls mit ausgespült, vor allem Natrium, Kalium, Chlorid und Hydrogencarbonat. Letzteres ist die wichtigste Puffersubstanz des Säure-Basen-Haushaltes und mit diesem Wissen lässt sich nun die Entstehung der Azidose leicht erklären: Die normalerweise vorhandenen Säuren werden im physiologischen Zustand einfach durch Hydrogencarbonat abgepuffert – geht dieser Puffer verloren, kommt es zu einer Übersäuerung.
Es kann übrigens auch vorkommen, dass sich der Durchfall bereits wieder bessert, es aber erst etwas später zu den klinischen Erscheinungen einer Azidose kommt.
Um dieser Form der Azidose vorzubeugen, muss an den Stellschrauben für die Bekämpfung schwerer Kälberdurchfälle gedreht werden. Die wichtigste Maßnahme stellt dabei die frühzeitige und ausreichende Versorgung mit Kolostrum dar, nach der 3Q-Regel: Quick, Quantity, Quality.
? Weiterführende ausführliche Informationen zum Thema Kälberdurchfall haben wir für Sie im Artikel „Hilfe Kälberdurchfall! Wie erkenne und behandle ich ihn richtig?“ zusammengestellt.
Die Pansentrinker-Azidose
Die akute Form der Pansenazidose des Kalbes entsteht trotz artgerechter Fütterung durch einen gestörten Schlundrinnenreflex oder Zwangstränkung. Dabei gelangen dann Kohlenhydrate aus den Tränken in größeren Mengen in den noch unterentwickelten Pansen, wo sie vergären und zu Milch- und Buttersäure abgebaut werden.
Diese Säuren reizen nicht nur die Pansenschleimhaut, was sich in starken Bauchschmerzen mit entsprechender Schmerzsymptomatik zeigt, sondern können bei länger anhaltender Pansenazidose auch zu einer metabolischen Azidose führen.
Die fütterungsbedingte Azidose
Tatsächlich gibt es jedoch auch viele Azidosen, die durch die Fütterung verursacht werden. Das Problem ist hier der unterentwickelte Pansen. Dieser ist erst mit 12 bis 16 Wochen weit genug ausgereift und für hohe Kraftfutteranteile bereit. Abgetränkt wird jedoch häufig früher!
Wird bereits mit 10 Wochen abgetränkt, ist der Pansen noch nicht bereit für die ordnungsgemäße Verarbeitung der großen Festfuttermengen, die nun angeboten werden. Aufgrund der (richtigen) Annahme, dass Kohlehydrate und deren Abbauprodukte die Pansenreifung fördern, werden oftmals genau in dieser Zeit kurz nach dem Absetzen stärke- und zuckerreiche Kraftfutter (viel Getreide und Mais) gefüttert, die dann im Pansen mikrobiell fermentiert werden. Es entstehen große Mengen kurzkettiger Fettsäuren, die jedoch vom unterentwickelten Pansen nicht gepuffert und nicht in ausreichendem Maße ins Blut überführt werden können – es entsteht eine fütterungsbedingte Pansenazidose, die mit pH-Werten von teils unter 5,8 über mehrere Wochen anhalten kann. Bei Weiterleitung der Fettsäuren in den Darm kann es im nächsten Schritt dann sogar zu einer Dickdarm-Azidose führen.
Diese langanhaltenden, oft subklinischen Azidosen sorgen zunächst unerkannt für geringere Zunahmen und schädigen nicht nur den Pansen, sondern auch den Darm – und zwar im schlimmsten Falle dauerhaft, was dann sogar die Nutzungsdauer verkürzen kann.
Kommt es jedoch zu einer massiven Schädigung des Epithels in Pansen und Darm, können außerdem auch Teile der Bakterien in die Blutbahn gelangen. Es handelt sich um LPS (Lipopolysaccaride) aus der Zellwand bestimmter Bakterien, die als Toxine fungieren und zunächst zu einer lokalen Schleimhautentzündung, später aber auch zu einem generalisierten Entzündungsgeschehen mit Fieber führen können.
Die Symptomatik zeigt sich ähnlich wie bei der oben genannten Pansentrinker-Pansenazidose. In fortgeschrittenen Fällen zeigen die Kälber durch die Schädigung der Leber allerdings zusätzlich juckende Haut und damit verstärktes Kratzen, abgescheuerte Hautstellen und Schwanzspitzennekrosen.
Zwischenfazit: Azidosen beim Kalb sind in vielerlei Hinsicht schlecht für den Betrieb!
Alle Formen von Azidosen beim Kalb, auch subklinische, also nicht deutlich sichtbare Azidosen, führen zu zusätzlichem Zeitaufwand zur Überwachung und Versorgung und zu Tierarztkosten. Azidotische Kälber trinken schlechter, haben schlechtere Zunahmen, brauchen oftmals intensive Pflege, sind anfällig für Infektionen und bleiben hinter ihren Artgenossen zurück.
Und das ist nicht das einzige Problem: Schlechte Zunahmen im frühen Lebensalter (in Woche 16 bis zu 40kg weniger Körpergewicht als Altersgenossen!) sind nicht nur beim Verkauf ärgerlich, sie haben vor allem einen signifikanten Einfluss auf die spätere Milchleistung, Gesundheit und Lebensdauer!
Die gute Nachricht: Vorbeugung hilft gegen Azidose!
Die Kälber von heute sind die Kühe von morgen! Wie kann ich als Landwirt Azidosen vorbeugen?
Durch ein optimiertes Tränkeregime und eine für die Pansenentwicklung angepasste Ernährung können fütterungsbedingte Pansenazidosen bei Kälbern von vornherein fast vollständig verhindert werden.
Bild Quelle: Irina Prem
✔️ Langes Tränken!
Nur 14 Tage längeres Tränken, also bis mindestens zur 12. Woche, senkt die Inzidenz und das Ausmaß von fütterungsbedingten Azidosen deutlich. Und das ist nicht der einzige Vorteil: Auch die spätere Kraftfutteraufnahme ist dann höher!
✔️ Intensives Tränken!
Wird die Tränke ad libitum angeboten, nehmen die Kälber noch einmal besser zu, auch nach dem Absetzen. Außerdem vergrößert sich die Darmoberfläche im Vergleich zu restriktiv getränkten Kälbern, was zu einer verbesserten Absorptionskapazität führt. Angestrebt werden sollte eine Menge von ca. 12 Litern Vollmilch oder vergleichbarer Milchaustauscher pro Tag.
Oft wird befürchtet, dass höhere Milch oder MAT-Mengen gegen Ende der Tränkeperiode dazu führen könnten, dass die Kälber dafür weniger Starterfutter aufnehmen – doch genau das Gegenteil ist der Fall: Sie nehmen in den frühen Wochen auch freiwillig weniger Festfutter auf und steigern die Menge dann beim Absetzen dafür deutlich stärker als ihre Artgenossen.
✔️ Sanftes Absetzen!
Ebenso wichtig ist ein schleichendes Absetzen: Als ideal wird empfohlen ab etwa Woche 7 (in der die Kälber dann bereits etwa 1,5kg Kraftfutter aufnehmen sollten) die Milchmenge um ca. zwei Liter pro Woche langsam zu senken, sodass jedoch in Woche 12 noch mindestens zwei Liter pro Tag gefüttert werden.
✔️ Eine gute Trocken-TMR
Auch eine gute Trocken-TMR trägt zu einer stabilen Kälberentwicklung bei. Wenn das Tränkeregime stimmt, wird das Kalb selbstständig beginnen, zusätzliches Festfutter aufzunehmen.
Im Vergleich zu einer getrennten Vorlage von Maissilage, Heu und Kraftfutter nehmen die Kälber bei einer Trocken-TMR mehr Rohfaser und weniger leicht fermentierbare Kohlehydrate auf, was zum einen der Pansenazidose vorbeugt und zum anderen die Pansenentwicklung fördert. Außerdem ist die Gesamttrockenmassen-Aufnahme bei einer schmackhaften Kälber-Trocken-TMR und damit die Gewichtszunahme deutlich verbessert.
Mit JOSERA Linovit, einem speziellen Eiweiß- und Mineralfutterergänzer, kann die hofeigene Kälber-Trocken-TMR noch weiter optimiert werden. Die wertvollen Komponenten unterstützen die Kälberentwicklung auf vielfältige Weise: Durch den Apfeltrester wird die Ration noch schmackhafter, die Futteraufnahme steigt, die Darm- und Pansenschleimhaut wird durch Leinschrot geschützt, Lebendhefen stärken die Entwicklung der Pansenflora und ausgewählte Kräuter unterstützen die Abwehrkräfte zusätzlich.
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